Errare humanum est, stellten die Römer fest: Irren ist menschlich. Auch ich bin von menschlichen Schwächen nicht frei. Dazu gehört eine vermaledeite Leidenschaft für Gerechtigkeit. Ich stand schon immer auf Seiten der Verlierer.

Von Bobby Langer

Beispielsweise irritiert es mich, wie wenig zugunsten der deutschen Weinbergschnecke getan wird, die von Horden spanischer Nacktschnecken buchstäblich überrannt wird. Auch könnte ich mich darüber echauffieren, dass das Schicksal des Berggorillas gering wiegt im Vergleich zu Richtungsstreitigkeiten in der deutschen Bundesregierung. Ich tu’s nicht, das ist nicht gut für meine Nerven. Nur eins begreif ich nicht: In den Nachrichten der Tagesschau geht es um ausgewogene Berichterstattung. Ausgewogen innerhalb welcher Grenzen, Polaritäten, Orientierungen oder Vorgaben? Und wenn der Planet verreckt, die Bundesliga muss in den 15 Minuten untergebracht werden.

Ein entscheidendes Manko meines Charakters ist seine katholische Fundierung. Als Kind predigte mir mein Vater, vor Gott seien alle Menschen gleich. Er vergaß hinzuzufügen, dass es sich bei dem „vor Gott“ um eine Einschränkung handelte. Vor dem Menschen sind nämlich nicht alle Menschen gleich, sondern höchst unterschiedlich. Das beginnt schon bei dem einen netten Nachbarn und endet am Ende der Straße bei diesem Kerl, der immer ein Gesicht zieht wie zehn Tage Regenwetter. Auch der Indigene, der einst ehrlicherweise herablassend Asiate, Neger, Rothaut oder Eskimo hieß, mag vor Gott gleich sein, aber doch nicht vor den Menschen. Man zweifelte – und Restzweifel bestehen heute noch, da hilft auch die Umbenennung nicht – sogar daran, ob es sich bei diesen Geschöpfen überhaupt um Menschen handelte. Da wäre letzten Endes Gott zu befragen. Aber der sagt ja nichts.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Zu Zeiten, als ich noch an die Tagesschau glaubte, wusste ich allerlei über die möglicherweise drohenden Gefahren des Jahrtausendwechsels und sorgte mich – ein bisschen – um die Festplatte meines Computers; auch erschien es mir aufgrund meiner Nachrichtenlage wichtig zu wissen, dass Wolfgang Schäuble gestand, 1994 von Karlheinz Schreiber 100.000 D-Mark in bar entgegengenommen zu haben. Vom Kongokrieg, in dem rund drei Millionen Menschen starben, erfuhr ich hingegen nichts. Oder sagen wir mal: so gut wie nichts. Wie oben schon gesagt: Die Indigenen gehen uns ja nichts an, sondern nur Gott.

Heute ist das nicht viel anders. Der Jemenkrieg, bei dem die saudi-arabische Militärallianz (ca. 150.000 Soldaten) von den USA, Frankreich und Großbritannien (noch nicht von Deutschland, soweit man weiß) unterstützt wird, heißt im Nachrichtenjargon „Militärintervention“. Wie harmlos das klingt. Wikipedia sagt dazu: „Unter Zivilisten gab es viele Tausend Tote, Millionen Binnenflüchtlinge und Millionen Unterernährte, darunter allein etwa 2,2 Millionen unterernährte Kinder. Als verantwortlich für das starke Anwachsen der humanitären Katastrophe im Jemen wird neben den großen Zerstörungen durch die Angriffe insbesondere die Seeblockade des Jemen angesehen, die von Seiten der saudi-arabisch angeführten Militärallianz bis heute beibehalten wird. Stand Dezember 2022 gilt die Situation im Jemen immer noch als die schlimmste humanitäre Katastrophe der Welt.“ Wen juckt’s außer ein paar hypersensible Menschenrechtlerinnen! Aber dass ein Hapag-Lloyd-Frachter in Brand geschossen wurde, ist angesichts der paar verlorenen Bruttoregistertonnen des Milliarden-Konzerns ein welterschütterndes Ereignis. So sieht sie aus, die ausgeglichene westliche Berichterstattung.

Ich merke, dass eine leichte Erbitterung in mir aufsteigt. Aber ich weiß damit umzugehen: Mit Bio-Plätzchen und einem ordentlichen Schluck Glühwein wird mir die gesegnete Weihnachtsruhe nicht flöten gehen. Auf dass sie möglichst lange anhalte. Gott wird’s schon richten.