LNG verursacht mehr Treibhausgase als alle anderen fossilen Energieträger, zudem schädigt es Gesundheit und Umwelt massiv.

Pascal Derungs für die Online-Zeitung INFOsperber

Die ARD-Dokumentation «LNG um jeden Preis» demontiert die Mär vom angeblich sauberen Flüssigerdgas LNG (Liquefied Natural Gas) aus den USA. Auf einer Recherchereise durch das Produktionsland bringt der Autor Michael Höft erschreckende Fakten ans Licht: Die Gewinnung von Flüssigerdgas führt zu radioaktiven Abfällen, vergifteten Flüssen und einer massiven Klimabelastung. Mit einer speziellen Kamera wird der enorme Austritt von Methan bei den Förderanlagen sichtbar. Wissenschaftler protestieren: Es wäre deutlich weniger klima- und gesundheitsschädlich, wenn man auf Kohle setzen würde, anstatt gefracktes Gas aus den USA zu importieren, die zu den grössten LNG-Exporteuren weltweit gehören. Trotzdem will die EU bis 2030 50 Milliarden Kubikmeter LNG pro Jahr zusätzlich aus den USA kaufen. Das entspricht einem Drittel der Erdgasmenge, die Europa 2020 noch aus Russland bezogen hat.

Verflüssigung und Transport von LNG verschleudern Energie

Michael Höft beginnt seine Recherche in Texas. Am Golf von Mexiko stehen die LNG-Terminals, die das Gas für die Verschiffung nach Europa auf minus 162 Grad herunterkühlen. Dieser Prozess benötige soviel Energie, dass ein Viertel der Gesamtenergie des Gases schon hier verloren gehe, schätzen Experten. Auf dem Schiff müsse dann noch weiter Gas eingesetzt werden, um das verbliebene LNG zu kühlen. Dazu kämen Gasverluste durch Lecks in der gesamten Lieferkette. «In Deutschland kommen nur noch 50 bis 70 Prozent des Gases an», kritisiert der international anerkannte Professor Robert Howarth von der Cornell University. Schon das allein sei alles andere als klimafreundlich oder nachhaltig.

Die Methanemissionen steigen unkontrolliert steil an

Seitdem Europa LNG in enormen Mengen kauft, sei ein neuer Goldrausch» in Amerika entstanden, heisst es in der ARD-Doku, es werde gefrackt wie nie zuvor. Auch in dicht besiedelten Gebieten wie zum Beispiel in West-Virginia oder Ohio. Wegen des Fracking-Booms in ganz Nordamerika seien die Methanemissionen heute grösser denn je, sagt Robert Howarth. Im Nordwesten von Texas befindet sich das Epizentrum der Öl- und Gasindustrie. An zehntausenden Bohrstellen werde hier Gas aus dem Boden gefrackt. Bei diesem Prozess würden ungeheure Mengen von Methan entweichen. Dieses Gas ist mindestens 25 Mal klimaschädlicher als CO2 und für das menschliche Auge unsichtbar.

Experten der Umweltorganisation «Earth Works» machen für das Fernsehteam diese Emissionen mit einer Spezialkamera sichtbar: Das Resultat ist alarmierend. Überall steigt Methan in die Luft, das laut Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einer der grössten Verursacher der globalen Erwärmung ist. Auch neuentwickelte Satellitenkameras der Universität Bremen zeigen grossflächige Methaneinträge in der Atmosphäre über Texas und anderen Fördergebieten in den USA. Skandalös sei, dass die Bohrfirmen dieses Methan ganz legal in die Umwelt entweichen lassen dürften, sagt ein Umweltschützer. Das würden die laschen US-Gesetze zum Umweltschutz erlauben.

Fracking ist die übelste aller Fördertechniken 

Methan sei jedoch nur eine finstere Seite des LNG, kommentiert die ARD-Doku, deutlich schlimmer sei die Schadensbilanz von LNG beim Förderprozess. Im Nordwesten der USA recherchiert der Fernsehreporter über den radioaktiven Giftmüll. Beim Fracking wird das Gas mit Hilfe von Wasser, Chemikalien und Sand aus dem Boden gespült. Dieses Wasser ist jedoch hochgiftig, wenn es wieder an der Erdoberfläche ankommt. Denn die Gasvorkommen im Boden sind mit Schiefergestein verbunden, das häufig radioaktives Radium enthält. Durch das Fracking würden diese Mineralien ausgewaschen, nach oben gespült und machten Arbeiter wie Anwohner krank. Die Strahlungswerte von Radium würden bis zu sechsfach über dem erlaubten Wert liegen. Entlang der texanischen Küste seien die Fälle von Krebs, Unfruchtbarkeit, Atemwegs- und Nervenerkrankungen stark angestiegen. Dasselbe gelte für Fracking-Gebiete im dicht besiedelten Osten der USA, wo immer mehr Todesfälle aufgrund eines — eigentlich seltenen — Knochenkrebses registriert würden. Doch die Proteste der Bevölkerung würden bei den Behörden ungehört verhallen. «Es scheint, dass die Umweltschutzbehörden mehr daran interessiert sind, die Rechte der Industrie zu schützen als die der Bürger», sagt ein Anwohner, der seinen Sohn an diesen Krebs verloren hat. «Wenn man mit Politikern redet, sprechen sie immer nur von Jobs und Geld. Es ist das Einzige, was zählt.»

Die Lobby der Energiefirmen ist unangreifbar

Die Gas- und Ölindustrie in den USA sei mit enormen Rechten ausgestattet, stellt der Dokumentarfilm fest. Sogar auf dem Land der indigenen Navajos dürfe ohne Einschränkungen gefrackt werden. Mitglieder dieses Stammes erzählen im Film, wie ihr Wasser vergiftet und ihre heiligen Orte zerstört würden. Diese Fakten seien bekannt und nicht bestritten. Denn umweltschädigende Unfälle müssten die Förderunternehmen den Behörden melden. Schadenersatz hingegen müssten sie nicht bezahlen. Sogar die offiziellen Messungen der Umweltschutzbehörden würden belegen, dass die Luftqualität in der Umgebung der Förderstätten stark gesundheitsgefährdend sei, heisst es im Film. Ein Mix aus giftigen Substanzen verpeste die Atmosphäre in der Region. Doch die Verursacher würden allesamt unbehelligt bleiben.

LNG ist nicht die Lösung, sondern das grösste Problem

Viele Fachleute halten den Handel mit flüssigem Gas für verantwortungslos. Kein Energielieferant sei klimaschädlicher als LNG, statuiert die ARD-Doku. Im Interview empfiehlt Robert Howarth von der Cornell Universität Deutschland, die eigenen Gasvorkommen konventionell auszuschöpfen. Und nötigenfalls sogar lieber auf Kohle zu setzen, bis man genug erneuerbare Energie erzeugen könne. Das wäre wesentlich klimaschonender als gefracktes LNG aus Übersee zu importieren, stellt Howarth fest.

Mehr eigene Förderung scheitert an Ängsten der Bevölkerung

Noch vor 20 Jahren stammten 20 Prozent des in Gesamtdeutschland verbrauchten Gases aus heimischer Förderung. Inzwischen liegt die Selbstversorgungsquote gerade noch bei fünf Prozent. In der Altmark liegt das zweitgrösste Erdgasvorkommen Kontinentaleuropas.

Doch neue Bohrungen würden schon lange nicht mehr getätigt, erzählt ein ehemaliger Arbeiter. Neue Gasfelder würden auch kaum mehr gesucht, ergänzt der Filmkommentar. Der Import von billigem Gas aus Russland sei lange Zeit schlicht lukrativer gewesen. Als dieses weggefallen sei, habe das Flüssigerdgas aus den USA verhältnismässig schnell zur Verfügung gestanden, um den grossen Hunger der deutschen Industrie nach Energie zu stillen. Regelmässig würden Versuche zur Reaktivierung der eigenen Gasförderung am Widerstand der Bevölkerung scheitern.