Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, gerät immer wieder wegen Skandalen und Kritik bezüglich ihrer Arbeit als EU-Spitzenpolitikern unter Druck. Im Zusammenhang mit dem neu aufgeflammten Gaza-Konflikt wird ihr nun vorgeworfen, keine klaren Worte für die Einhaltung des Völkerrechts gefunden zu haben.

Von Alexander Männer

Nach dem Hamas-Angriff auf Israel demonstrierte von der Leyen ihre uneingeschränkte Solidarität mit der israelischen Führung und dem israelischen Volk, was absolut verständlich ist. Bei ihrem Besuch in Israel machte die Kommissionspräsidentin deutlich, Israel habe das Recht, sich als angegriffenes Land zu wehren. „Dies war der schlimmste Angriff auf Israel seit der Staatsgründung. Und es kann nur eine Antwort darauf geben. Europa steht Israel zur Seite. Und wir unterstützen Israels Recht auf Selbstverteidigung. Ich habe mit Präsident Herzog gesprochen und ihm meine uneingeschränkte Unterstützung zugesagt“, sagte sie.

Zur Abriegelung des Gazastreifens äußerte sich von der Leyen jedoch nicht, obwohl der UN-Generalsekretär António Guterres von Israel die Einhaltung des Völkerrechts gefordert hatte.

Dass von der Leyen diesbezüglich keine klaren Worte fand, kritisierte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell und ging damit in Konfrontation zur Kommissionschefin. Wie die Zeitung The Irisch Times am Samstag berichtete, sagte Borrel, dass von der Leyen in dieser Angelegenheit nicht für die EU spreche. Denn die Außenpolitik der Gemeinschaft werde von ihren Mitgliedstaaten und nicht von der Europäischen Kommission oder ihrem Präsidenten bestimmt.

Zuvor hat er bei einer Videokonferenz mit den EU-Außenministern den Terror der Hamas verurteilt und Israels Recht auf Selbstverteidigung betont, forderte aber die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und explizit den Zugang zu Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten sowie die Einrichtung von humanitären Korridoren für die Menschen in Gaza.

Nach Angaben des Magazins Politico teilte ein Diplomat, der anonym bleiben wollte, in diesem Zusammenhang mit: „Sie (von der Leyen – Anm.) sagte, Israel habe das Recht, sich selbst zu verteidigen. Punkt. Das ist nicht die Linie, mit der die Mitgliedstaaten einverstanden sind.“

Aber auch die Sprecherin der Sozialisten und Sozialdemokraten im EU-Parlament, Iratxe García Pérez, übte Kritik an der Kommissionspräsidentin. Sie begrüsste zwar die Bekundung der Solidarität mit Israel, allerdings nicht die anderen Aspekte des Besuchs von der Leyens in Israel. Pérez sagte dazu: „Als Vertreter der EU und ihrer Institutionen haben sie jedoch die Pflicht, die Position der Union als Ganzes einschließlich ihrer Mitgliedstaaten zu vertreten. Mit ihrem Besuch in Israel haben sie versagt und eine inakzeptable Parteilichkeit präsentiert, die nur Schaden anrichten kann.“

Kritik wegen Inkompetenz und Ausnutzung der eignen Position

Zuvor war von der Leyen immer wieder wegen vermeintlicher Inkompetenz und Ausnutzung ihrer Position für persönliche Zwecke in Kritik geraten. Diversen Medien zufolge hatte die Kommissionschefin in diesem Jahr bereits etwa 2,7 Millionen Euro für Fotografen und Visagisten aus dem EU-Haushalt ausgegeben. Außerdem hatte eine im Auftrag der Tagesschau durchgeführte Meinungsumfrage unter anderem ergeben, dass mehr als die Hälfte der Bundesbürger mit der Arbeit von der Leyens in der EU-Kommission unzufrieden sind.

In der Tat hatte die politische Karriere der Christdemokratin immer wieder Fragen aufgeworfen. Und das nicht zuletzt seit ihrer Tätigkeit als Mitglied des Kabinetts von Angela Merkel in den 2010er Jahren. Denn damals, als von der Leyen etwa den Posten der Bundesverteidigungsministerin innehatte – und auch als sie 2019 für den Posten der EU-Kommissionspräsidenten nominiert wurde –, war man in Berlin nicht unbedingt der Meinung, dass diese Politikerin ihre Sache gut macht.

„Von der Leyen ist unsere schwächste Ministerin. Das reicht anscheinend, um Kommissionspräsident zu werden“, twitterte damals der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz. Ungeachtet der Tatsache, dass Schulz Sozialdemokrat ist, haben zahlreiche Christdemokraten seine Meinung in Bezug auf von der Leyen durchaus geteilt, obwohl nur wenige von ihnen öffentlich Kritik an ihr geübt haben.

Meist galt die Kritik von der Leyens Tätigkeit als Verteidigungsministerin. Noch bevor sie für den EU-Spitzenposten nominiert wurde, hatte zum Beispiel Rupert Scholz, der unter Helmut Kohl Verteidigungsminister war, geschrieben: „Der Zustand der Bundeswehr ist katastrophal. […] Die gesamte Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik leidet, das ist völlig unverantwortlich.“

Im Grunde gilt von der Leyens Leitung des Verteidigungsressorts inzwischen als gescheitert. Wie Politico berichtete, ist dies jedoch nicht der einzige Aspekt, der kritisiert wurde. Denn neben den Problemen bei der Bundeswehr wurde von der Leyens Ministerium 2019 mit einer Untersuchung eines Verdachts auf Fehlverhalten im Zusammenhang mit dem Einsatz externer Berater konfrontiert. Dabei ging es um Vorwürfe, dass das Büro der Ministerin bei der Vergabe von Aufträgen in Millionenhöhe die Vergaberegeln umgangen habe. Anhörungen, die im Bundestag diesbezüglich durchgeführt wurden, sollen den Verdacht auf systematische Korruption in der Verteidigungsbehörde zunächst erhärtet haben. Em Ende brachte die Untersuchung dieser Affäre offiziellen Angaben zufolge aber keine  Bestätigung für Korruption.

Angesichts solcher Skandale, oder auch Krisen, wie etwa der aktuellen Wirtschaftskrise in Europa, ist von der Leyen allerdings nicht die einzige Akteurin aus der EU-Spitzenpolitik, die am Pranger steht. Immer mehr Menschen in Europa sind davon überzeugt, dass die EU-Politiker weder die Krisen in der Staatengemeinschaft bewältigen können noch dass sie dafür überhaupt kompetent sind.

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