Ein Satz wie „Wir brauchen endlich einen Paradigmenwechsel!“ macht sich in jedem auch nur ein bisschen anspruchsvollen Gespräch gut. Entweder hat dann die Gesprächspartnerin nur eine wolkige Vorstellung von dem, was gemeint ist, und nickt; oder sie weiß, was gemeint ist, und nickt ebenfalls.

Denn bezüglich der Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels sind wir uns alle „irgendwie“ einig. Freilich könnte es auch der Fall sein, dass die Sprecherin selbst nicht weiß, wovon sie spricht, was aber dem gemeinsamen Nicken keinen Abbruch täte.

Was ein Paradigmenwechsel ist

Weil es nun einmal der Paradigmenwechsel zu einer Standardforderung gebracht hat und man ungern seine Unkenntnis eingesteht, schlage ich vor, künftig von einem Ontologiewechsel zu sprechen. In diesem Fall gäbe sich niemand eine Blöße nachzufragen, was genau man damit meine. Und weil mit einer solchen Rückfrage zu rechnen ist, müsste man sich diese auch selbst stellen.

Um aber zum begrifflichen Gipfel des Ontologiewechsels vorzustoßen, nehmen wir uns vorsichtshalber doch erst einmal das begriffliche Basislager des Paradigmenwechsels vor. Ein Paradigma macht uns einen Zusammenhang in größerem Umfang begreiflich, also beispielsweise die Tatsache, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Der Wechsel vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild war ein Paradigmenwechsel. Alle Menschen, inklusive Christen, die diese neue Sicht auf die Welt verinnerlicht hatten, betrachteten künftig die Sonne mit anderen Augen, aber auch die Erde, die sich unter ihnen auf geheimnisvolle, nicht wahrnehmbare Weise drehte. Ein anderer Paradigmenwechsel wurde durch Einsteins Relativitätstheorie ausgelöst, der zufolge plötzlich Raum und Zeit als naturwissenschaftliche Konstanten verloren gingen bzw. sich verflüssigten. Getoppt wurde die Relativitätstheorie dann noch von der Quantentheorie.

Mit anderen Worten: Ein Paradigmenwechsel zwingt einen zum Umdenken, wirkt verwirrend und verunsichernd und ist beim gemeinen Volk ebenso unbeliebt wie bei der gemeinen Wissenschaft, von der gemeinen Religion ganz zu schweigen. Und weil das so ist, kann die Durchsetzung eines Paradigmenwechsels lange dauern. Zwischen der Bekanntgabe von Kopernikus’ neuer Sicht des Universums 1543 bis zu ihrer Straffreiheit durch die katholische Kirche 1757 vergingen mehr als zwei Jahrhunderte. Als Ketzer galt er auch noch danach und wurde erst 1992 rehabilitiert.

Was ein Ontologiewechsel ist

Ein Ontologiewechsel verhält sich zum Paradigmenwechsel wie die Quantentheorie zur Relativitätstheorie. Mit anderen Worten: Danach ist alles anders. Doch im Unterschied zum Paradigmenwechsel fühlt sich der Ontologiewechsel nicht verwirrend, sondern erweiternd bzw. vertiefend an, je nachdem. Und das Verblüffendste daran: Alles funktioniert wie bisher, nur besser. Klingt das nicht großartig?

Aber von vorne. Die Ontologie, die oft auch als Metaphysik bezeichnet wird, geht tiefer als die Physik. Wo diese nach dem Wie fragt, fragt jene nach dem Warum. Die Ontologie interessiert sich für die Grundstrukturen der Wirklichkeit und wird deshalb auch „die Lehre vom Sein“ genannt. Wem das ein wenig fernöstlich klingt, der hat Recht und Unrecht in einem. Denn die asiatische Geisteswissenschaft hat sich schon immer für das Warum interessiert. Vermutlich ist das der Grund für den Erfolg des Buddhismus, der auf naturwissenschaftlich präzise Weise erklärt, warum Menschen leiden. Doch ontologische Fragestellungen gibt es auch im Westen schon lange, mindestens seit sechshundert Jahren. Typische Fragestellungen sind: Was ist der Mensch? Gibt es Geist? Oder Gott? Letztlich Fragen, die Kinder gerne stellen – und auf die sie nie, oder doch selten, eine befriedigende Antwort erhalten. Als mein Ältester mich, in der Badewanne sitzend, fragte: „Bobby, was ist eigentlich der Heilige Geist?“ kam ich ganz schön ins Schwitzen.

Das gängige naturwissenschaftliche Weltbild (immer noch weniger als Ontologie) besagt, dass nur existiert, was sich per Experiment beweisen – oder doch wenigstens anhand von Experimenten schlussfolgern – lässt. Für diese allgemein anerkannte, doch oftmals wenig geglaubte Ontologie gibt es weder Gott noch Geister, weder Feen noch Hexen. Zumindest letztere, sofern ihrer im 18. Jahrhundert noch welche übrig waren, profitierten einerseits davon, andererseits verloren sie auch jedes Ansehen, da mit der Naturwissenschaft auch jede Magie ein Ende fand. Die naturwissenschaftliche Ontologie tut sich ganz generell mit der Geisteswissenschaft schwer und kann mit Begriffen wie Intuition oder Kreativität herzlich wenig anfangen. Ebenso wenig lassen sich damit Wetterfühligkeit, Empathie, Freundschaft, Verbundenheit, Dankbarkeit, Glaube oder Liebe befriedigend erklären, sofern dafür keine hormonellen oder genetischen Indikatoren gefunden werden. Empathie erfuhr erst eine Aufwertung seit der Entdeckung der Spiegelneuronen und wurde letztlich auch auf diese reduziert.

Und warum sich damit alles ändert

Die dem naturwissenschaftlichen Weltbild zugrunde liegende Ontologie ist die einer – aus heutiger Sicht – geradezu bestürzend naiven Linearität und der Trennung, der Trennung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen belebter und unbelebter Materie, zwischen Frau und Mann, Ich und Du, zwischen Mensch und Natur. Diese Ontologie der Trennung gestattet Hierarchien und damit auch Wertehierarchien, war und ist die Grundlage (und Rechtfertigung) für Mord und Totschlag und auch für den Krieg des Menschen gegen die Natur, die er als billige und unerschöpfliche Ressourcenquelle betrachtet.

Vielleicht ist jetzt klarer, weshalb ein Ontologiewechsel ALLES ändert. Wer ihn in sich vollzieht, der unterscheidet nicht mehr zwischen wertem (Mensch) und unwertem Leben (Tier und Pflanze), dem werden Begriffe wie Besitz, Eigentum, ja alles Haben fremd, der kann das Gravitationsgesetz neben dem Wunder des Lebens bestehen lassen und umgekehrt; für den ist alles Beziehung und für den verliert der Tod seinen Schrecken. Wer den Ontologiewechsel in sich vollzieht und die Welt deshalb als pulsierendes Ganzes erfährt, der versteht den Begriff von Mutter Erde ganz warm und neu, für den verwandelt sich die Natur zu einer mustergültigen Lehranstalt der Permakultur, ohne dabei auf die Grundlagen der Botanik vergessen zu müssen. Denn anders als die alte Ontologie ist die neue Ontologie keine der Trennung, sondern ein tiefes Wissen um die Zusammengehörigkeit allen Lebens und Seins, des Interseins – und damit auch die Rehabilitierung indigenen und mystischen Wissens und Erkennens.

Ein Trost

Wem die Ontologie des Interseins noch zu fremd oder fern ist, der möge sich mit den Erkenntnissen der Quantenphysik beschäftigen, die eine erstaunliche Brückenfunktion zwischen der alten und der neuen Ontologie einnimmt – und deshalb sogar Einstein befremdete. Ein Trost für alle, denen es vor dem anstehenden – und sich bei vielen bereits vollziehenden – Ontologiewechsel graut: Er beinhaltet ein verblüffendes Paradoxon; er verwandelt nämlich die Welt und alles Leben und alle Dinge um uns in ein wundersames Beziehungsgeflecht, das uns so sehr bereichert, dass wir vieler Dinge gar nicht mehr bedürfen, sondern uns das Geben viel leichter fällt als das Nehmen. Er lässt uns gwundrig werden, wie die Schweizer so schön sagen.