„Es wird ein neues Geld geben“, pfeifen die Spatzen von den Dächern: digitales Zentralbankgeld (CBDC =Central Bank Digital Currency). Und nachdem China die Einführung von CBDC fest vorhat und mit der Entwicklung des E-Yuan wohl schon recht weit ist, bleibt anderen, wirtschaftlich schwergewichtigen Staaten nichts übrig als nachzuziehen. Der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate und Schweden haben das bereits getan. Da Geld, ob digital oder nicht, nun einmal in alle Lebensbereiche hineinspielt, lohnt es sich, bei dem Thema die Ohren weit offen zu halten.

Die Frage ist nicht ob, sondern wann

Die EU ergreift eindeutig Partei: „Ein digitaler Euro wäre ein Stabilitätsanker für unser Geld im digitalen Zeitalter“, beruhigt aber im gleichen Atemzug: „… bis Oktober 2023 prüfen [wir], wie ein digitaler Euro aussehen und ausgegeben werden könnte … Danach entscheiden wir, ob wir tatsächlich mit der Entwicklung eines digitalen Euro beginnen.“

Alle Zeichen stehen also in Richtung CBDC, fragt sich nur noch, wann wir im Alltag mit dem neuen Geld konfrontiert sein werden. Charles Eisenstein, der seit Jahren zur geistigen Vorhut der US-amerikanischen Nachhaltigkeitsbewegung zählt und gerne gedanklich vorauseilt, hat kürzlich einen Essay mit dem Titel „Central Bank Digital Currencies And the Social Nature of Money“ veröffentlicht. Wer Charles kennt, ahnt, dass sich die Lobestöne in Grenzen halten.

Gutes Verhalten auf Knopfdruck?

Bislang haben nur Finanzinstitute Zugriff auf Zentralbankgeld, künftig sollen auch Geschäftsleute und Privatpersonen direkt bei der Zentralbank (bei uns wäre das die Europäische Zentralbank) ein Konto führen können. Man könnte damit bezahlen, allerdings nicht bar, sondern mittels einer App ohne Umweg über eine Bank oder ein Kreditkartenunternehmen. Das klingt erst mal positiv. Damit das Geschäft der Finanzdienstleister nicht zusammenbricht, wird überlegt, CBDC-Konten zu deckeln, so dass man dort kein Geld horten könnte.

Es geht also alles in Richtung bargeldloses Zahlen. Da CBDCs programmierbar und überwachbar sind, lassen sie sich – anders als Bargeldzahlungen – direkt vom Staat für politische Zwecke einsetzen. Beispielsweise könnte die App mitzählen, wie viele CO2-Einheiten jemand schon verkonsumiert hat und ein Limit setzen. Dann könnte man z.B. mit CBDCs nicht mehr tanken, Fleisch essen oder Kaffee trinken. Staatlich erwünschtes Verhalten ließe sich damit per Knopfdruck europaweit dirigieren. Eisenstein: „Unter dem Vorwand, gutes Verhalten zu belohnen und schlechtes zu bestrafen, soll jeder Aspekt des Lebens so kontrolliert werden, dass er den Interessen der Elite von Unternehmen und politischen Institutionen entspricht.“

Die Rechtfertigung für diesen totalitären Ansatz ähnelt der Bewegungskontrolle der Meldebehörden: Es sei schon richtig, dass sich die CBDC-Technik missbrauchen ließe, wenn sie den Falschen in die Hände fiele – also zum Beispiel Faschisten. Da wir aber die Richtigen sind, muss sich niemand Sorgen machen. Tatsächlich werden die CBDCs „unsere Fähigkeit, die Gesellschaft zum Wohle aller rational zu verwalten, erheblich erweitern“.

Verschmelzung von wirtschaftlicher und politischer Macht

Geld, darauf macht Charles Eisenstein aufmerksam, hat auch einen – zwar meist verborgenen, aber doch vorhandenen – sozialen bzw. asozialen Aspekt. Geld hat nicht nur Funktionen als Tauschmittel oder Handelsgut, Geld ist auch Macht. Gegenspieler dieser Macht waren in früheren Gesellschaften sozialer Druck, wenn die Wohlhabenden „sich zu sehr aufspielten oder ihre staatsbürgerlichen Pflichten vernachlässigten“. „Damals waren die Menschen in einem Netz von Geschenken, Gefälligkeiten und Verpflichtungen aufeinander angewiesen. Neben der finanziellen Währung zirkulierte auch eine immaterielle bürgerliche Währung. Sie ermöglichte es den Menschen, sich gegenseitig zur Verantwortung zu ziehen.“ „Formen der menschlichen sozialen Regulierung“ wie „Gemeinschaft, Moral, Konsens, Großfamilie, Brauch, Tradition und kulturelle Normativität“ wurden nicht über Geld geregelt. Heute, stellt Eisenstein fest, sind diese Gegenspieler der staatlichen und finanziellen Sphären weitgehend bedeutungslos geworden: „Staat und Geld haben zusammen fast jede andere Form der sozialen Organisation an sich gerissen. Wenn die zentralisierte Autorität Geld und Eigentum unterwirft, haben wir den Kommunismus. Wenn Geld und Eigentum den Staat unterdrücken, haben wir Oligarchie oder Faschismus. Beide führen zu demselben Ziel: der Verschmelzung von wirtschaftlicher und politischer Macht und der totalitären Beherrschung aller Lebensbereiche.“

Eine Gesellschaft der zwischenmenschlichen Verantwortung und Rechenschaft ist einem anonymen System gewichen. Superreiche können Soziopathen sein, ohne dass ihnen das schaden würde. Die guten oder schlechten Folgen wirtschaftlicher Entscheidungen werden nicht mehr menschlich zurückgespiegelt. „Die CBDC-Vision verlässt sich stattdessen darauf, dass zentrale Behörden uns dies mitteilen und diese Informationen in Geld umwandeln.“ Damit haben CBDCs nicht nur eine totalitäre Funktion, sie reduzieren gesellschaftliche Rückkopplungsschleifen aufs Monetäre.

Gemeinschaften als Gegenmodelle

Aber es gibt Möglichkeiten der Gegenbewegung zu diesen Tendenzen: „Die Antwort auf die Bedrohung durch einen zentralisierten Totalitarismus ist der Aufbau einer Gemeinschaft: einer traditionellen ortsgebundenen Gemeinschaft ebenso wie einer Online-Gemeinschaft.“ Gemeinschaften bestehen Eisenstein zufolge – im Gegensatz zu Netzwerken – aus „Menschen, die sich gegenseitig brauchen“ und die Bedürfnisse haben und realisieren, die geldunabhängig sind: „Nahrung, Kindererziehung, Musizieren, Hausreparaturen, Medizin und Pflege im Alter“. Gemeinschaften sind Ausdruck von autonomen zwischenmenschlichen Beziehungen.

Diesem Ziel der Autonomie könnten „Kryptowährungen der zweiten und dritten Generation“ dienen, welche Vorteile der CBDCs haben, allerdings ohne deren totalitären Anspruch. Solche Kryptowährungen erlauben „die sofortige Überweisung von Geldern zu nahezu Nullkosten (und mit geringem Energieverbrauch)“; „hier liegt ein fruchtbarer Boden für neue Formen der sozialen Verantwortung und neue Wege, dem Geld Werte zu verleihen“. Aber Kryptowährungen bergen die Gefahr, dass die menschliche Dimension Algorithmen untergeordnet wird. Deshalb wäre es „viel besser, die Verwaltung des Geldes in das Geld selbst einzubauen. Anstelle einer reinen Dezentralisierung, bei der es überhaupt keine Machtzentren gibt, könnten wir fruchtbarer in Form von mehreren Zentren in einer organischen Struktur denken“.

Soziale Werte ins Geld integrieren

Die Gefahr bei DBDCs „besteht darin, dass sie zum einzigen Geld werden, da machtgierige zentrale Institutionen Bargeld und Kryptowährungen verbieten, um ihre Träume von totaler Kontrolle zu erfüllen“. „Andere Zentren des sozialen Einflusses, der Rechenschaftspflicht und der Vereinbarung sowie andere Finanzorgane“ werden aber kaum vom Staat kommen; diese müssen von den Bürgern geleistet werden. Kryptowährungen würden zwar Eisenstein zufolge von Gruppen betrieben, die voll seien von „Gier, Täuschung und dem Versuch, schnell reich zu werden, oft getarnt als hochtrabende Ideale“; trotzdem gebe es dort die Chance „soziale Werte in Geld zu integrieren und partizipative, vom Staat unabhängige soziale Strukturen zu entwickeln“.

Parallel sei die Gesellschaft als Ökosystem bzw. Organismus zu verstehen. Wiederzubeleben seien die „Organe“ wie „ortsgebundene Gemeinschaften, lokale Wirtschaftsstrukturen und zivilgesellschaftliche Organisationen, eine Kultur der Gegenseitigkeit und der gegenseitigen Hilfe, lokale, erdgebundene Fähigkeiten, die kollektiv und über Generationen hinweg gehalten werden, und außergesetzliche Praktiken der Konfliktlösung“. Erst dann besteht die Chance, dass die Gesellschaft zu etwas wird, was man guten Gewissens als „Gesellschaft“ bezeichnen könne mit Inhalten wie „Gemeinschaft, Kameradschaft, Bündnis und Freundschaft. Die Zentralgewalt, so wohltätig sie auch sein mag, kann uns das nicht gewähren … Es liegt an uns, diese Entwicklung umzukehren. Es liegt an uns, den langen Weg zurück zur Gemeinschaft zu beschreiten“.

Hier findet ihr Charles Eisensteins Originalartikel

Wer in die finanztechnische Tiefe gehen will, dem sei folgender englischer Artikel empfohlen: China and 1st central bank digital currency. Is the E-Yuan a Role Model for Europe and the Euro System?