Wie Wokeness von den Herrschenden benutzt werden kann, um soziale Proteste zu kriminalisieren.

Von Andreas Pittler

In Irland wurde dieser Tage ein Gesetz beschlossen, das auf den ersten Blick von jeder fortschrittlich denkenden Person vorbehaltlos begrüßt werden müsste. In der „Incitement to Violence or Hatred“-Bill (Gesetz über die Anstiftung zu Gewalt oder Hass) wird geregelt, dass, wer zu Hass und Gewalt gegen Personen mit „geschützten Merkmalen“ aufruft, zu einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilt werden kann. Als geschützte Charakteristika gelten die „Rasse“, die Zugehörigkeit zu einer Religion, die sexuelle Orientierung, allfällige Behinderungen, die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe oder aber auch eine Abstammung von selbiger sowie auffällige Merkmale, die sich aus der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht ergeben. Wer in Irland also das N-Wort benützt, gegen Moslems hetzt, jemandem seine jüdische Herkunft vorhält, sich homophob äußert oder einer Frau „mächtige Titten“ attestiert, der kann auf der Basis des neuen Gesetzes in den Bau wandern.

Versteht man das Gesetz ganz gemäß der von der irischen Regierung offerierten Lesart, dann könnte man nichts dagegen einwenden. Wenn jemand schon so blöd ist, seine geistige Beschränktheit öffentlich zur Schau zu stellen, dann soll er auch bitte schön die Konsequenzen tragen. Doch Achtung, der Teufel steckt in diesem Gesetz im Detail.

Spannend sind etwa die Abschnitte 8 und 13 des neuen Gesetzes. Paragraph 8 regelt die Relativierung von Genozid oder Kriegsverbrechen. Vordergründig richtet sich das Gesetz also gegen unverbesserliche Nazis und tumbe Nationalisten, die ihre krude Sicht auf die Welt lautstark kundtun. Doch wird in den Erläuterungen zu diesem Abschnitt definiert, dass die zu inkriminierenden Handlungen gemäß der Maßgaben des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag festzulegen sind. Legt also die irische Exekutive diesen Paragraphen konkludent aus, so kann jede Person, die etwa darauf hinweist, dass der aktuelle Ukraine-Konflikt ja eine Vorgeschichte hat oder etwa die Annexion der Krim rechtfertigt, mit Hilfe dieses Paragraphen unter Strafe gestellt werden, da Russlands Präsident ja vom IGH als Kriegsverbrecher gesucht wird. Das neue Gesetz ermöglicht also, wann immer gewünscht, eine Opposition gegen die Kriegspolitik der NATO und der EU mundtot zu machen, indem deren Widerstand in einen Topf mit Holocaust-Leugnern oder Terror-Verherrlichern geworfen wird.

Beunruhigend aber auch der Paragraph 13. Dieser regelt, dass jede Organisation für ihre „Repräsentanten“ haftbar ist. Wenn also jemand, der dieser Organisation „zuordenbar“ ist, gegen das neue Gesetz verstößt, so haftet seine Organisation mit. In Paragraph 13 Absatz 1 heißt es, damit seien folgende Personengruppen gemeint: Vorsitzende, Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder und – und jetzt kommt´s – „jede Person, die vorgibt, im Sinne der Organisation zu handeln“. Wieder kommt es hier also auf die Textierung an. Organisiert man etwa eine Demonstration gegen den Krieg – wie unlängst Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer in Berlin – und finden sich auf dieser Demo rechte Provokateure ein, dann hat der irische Staat nunmehr eine gesetzliche Handhabe, die Demonstration wegen eben dieser Anwesenheit aufzulösen und gegen die Organisator*Innen der Kundgebung juristisch vorzugehen.

Doch es geht noch weiter. In Paragraph 15 wird festgehalten, dass ein Hinweis aus Kreisen der Öffentlichkeit ausreicht, eine Hausdurchsuchung bei einer verdächtigen Person vorzunehmen. Wird bei dieser Person dann tatsächlich Material gefunden, dass dazu geeignet ist, den Intentionen des neuen Gesetzes zu entsprechen, dann muss die Person beweisen, dieses Material nicht zum Zweck der Anstiftung zu Gewalt oder Hass zu besitzen. In deutlicher Abkehr bisherigen Rechtsverständnisses gilt also ab sofort die „Schuldsvermutung“.

Um diesen Paragraphen 15 anschaulich zu machen, eine konkrete Hypothese. Nehmen wir an, der Herr Höcke von der AfD macht sich einen Spaß und zeigt Sahra Wagenknecht beim Bezirksgericht an, sie rufe zu Hass und Gewalt auf. Dann kann die Polizei am frühen Morgen bei ihr auf der Matte stehen und ihre Computer, Laptops, Notizbücher etc. ganz legal durchwühlen. Und wenn Wagenknecht dann etwa ein paar alte Hitler-Reden irgendwo abgespeichert hat, weil sie etwa ein Buch über den Nationalsozialismus plant, dann muss sie dem Gericht beweisen, dass sie diese Texte für wissenschaftliche Zwecke gesammelt hat, während die gängige Rechtspraxis bisher so gestaltet war, dass die Strafbehörde ihr beweisen musste, dass dem eben nicht so ist.

Angesichts der verheerenden ökonomischen Situation, in der sich ganz Europa durch die fatale Politik der EU befindet, bietet also ein Gesetz, das vorgeblich dazu dient, Transgender-Personen oder gläubige Muslime davor zu schützen, in der Öffentlichkeit angegriffen zu werden, eine überaus effiziente Möglichkeit, jeden sozialen Protest im Keim zu ersticken. Die Demonstrationen der Friedensbewegung wären im Lichte dieses Gesetzes ebenso unmöglich wie etwa die Aktionen der Gelbwesten in Frankreich oder auch nur ein kritischer Artikel gegen irgendeinen CEO eines multinationalen Konzerns, wenn der zufällig homosexuell, jüdischer Herkunft oder dunklerer Hautfarbe sein sollte.

Kein Wunder also, dass die irische Linke, allen voran die „People before Profit“-Gruppe, heftig gegen das Gesetz opponierte. Vollkommen zu recht wiesen ihre Abgeordneten darauf hin, dass das Gesetz so nebulos formuliert ist, dass es jederzeit auch zweckentfremdet werden kann. Die bürgerliche Regierung Irlands zeigte sich davon unbeeindruckt und drückte die Bill genau so durch. Sie wird wissen warum.

Derzeit betrifft diese Regelung nur ein kleines Land am westlichen Rand der EU, das als besonders enger Verbündeter der USA gilt. Die europäische Linke sollte aber achtsam sein. Wenn dieses Gesetz in Europa Schule macht, dann sind – entgegen der von den Herrschenden vorgetäuschten Absichten – die Demokratie und die politischen Rechte der arbeitenden Menschen massiv in Gefahr. Es gilt, „woke“  (wachsam) zu sein – um unser aller Willen.

Der Originalartikel kann hier besucht werden