Die sechsköpfige Besatzung einer gemieteten Jacht soll die drei Nord-Stream-Pipelines gesprengt haben: Das ist eher unglaubwürdig.

Urs P. Gasche für die Online-Zeitung INFOsperber

«Laut Medienberichten» gebe es im Fall Nord-Stream «eine neue Spur» meldete die NZZ am 8. Februar und titelte vorsichtig mit Fragezeichen:

«Stecken Ukrainer hinter Anschlag auf Pipelines?»

Ohne Fragezeichen titelte der Blick:

«Spuren der Täter führen in die Ukraine.»

SRF-online hat am 8. Februar ebenfalls als sichere Erkenntnis getitelt:

«Spuren der Nord-Stream-Ermittlungen führen in die Ukraine.»

SRF weiter: Deutsche Ermittlungsbehörden hätten «einen Durchbruch erzielt». Es handle sich um eine «gross angelegte Recherche» von ARD, SWR und der «Zeit». Die Ermittler hätten das Boot identifiziert, «das mutmasslich für diese Operation verwendet wurde». Es fällt auf, dass SRF den Terrorakt verharmlosend eine «Operation» nennt.

SRF zitierte dann den früheren Russland-Korrespondenten David Nauer: Es sei theoretisch auch denkbar, dass jemand absichtlich eine falsche Fährte legte, um in Richtung Ukraine zu zeigen. «Denkbar» und «nicht auszuschliessen» ist vieles.

Man könnte auch sagen: «Es ist durchaus möglich, dass jemand absichtlich eine falsche Fährte legte, um von den USA und Norwegen abzulenken.»

Es ist auch «nicht auszuschliessen» oder «denkbar», dass ein Geheimdienst für Sprengstoffspuren sorgte, die man in der Jacht gefunden habe.

SRF meint denn auch, – nicht genannte – «internationale Sicherheitskreise» würden «nicht ausschliessen» (!), dass es sich «um eine sogenannte Fals-Flag-Operation handeln könnte. Dabei würden bewusst Spuren gelegt, die auf einen [falschen] Verursacher deuten sollen.»

Weiter zitiert SRF den «hochrangigen Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selensky, Mikhailo Podoliak, wonach es «denkbar» (!) sei, dass Russland dahinterstecke.

Einen Tag später, am 9. Februar, liess auch die NZZ keinen Zweifel mehr offen und titelte:

«Die Spuren der Nord-Stream-Sabotage führen in die Ukraine.»

Die Tamedia-Zeitungen wie der Tages-Anzeiger titelten immer noch etwas vorsichtiger:

«Ein ukrainisches Kommando könnte es gewesen sein.»

Doch, schreiben die Tamedia-Zeitungen, «die Indizien sind recht handfester Natur». Als Quelle nennt der Tages-Anzeiger «amerikanische Nachrichtendienste» und «US-Geheimdienste» und meint dann: «Sollten pro-ukrainische Kräfte für die Sabotage verantwortlich sein, hat die Ukraine jedes Interesse, die Schuld weit von sich zu weisen.»

Man könnte auch sagen: Falls die USA zusammen mit Norwegen die Sabotage organisierten, haben die US-Geheimdienste jedes Interesse daran, falsche Fährten zu legen.

Die NZZ macht darauf aufmerksam, dass es für die Zerstörung der Pipelines, teilweise auf einer Länge von bis zu 250 Metern, 200 bis 400 Kilogramm Sprengstoff und spezielle Geräte brauchte. Es müsse – auch wegen der immensen Kosten – ein «staatlicher Akteur» dahinterstecken. Die sechs Besatzungsmitglieder hätten die gemietete Jacht dann zurückgegeben, «ohne sie gründlich zu reinigen». Deshalb hätten die Ermittler später Spuren von Sprengstoff nachweisen können. Hat der «staatliche Akteur» also Amateure eingesetzt?

Anderer Massstab als bei Seymour Hersh

Es fällt auf, dass vor allem deutsche Medien das jetzt verbreitete Jacht-Narrativ anders bewerten als die Recherchen des US-Investigativjournalisten Seymour Hersh, der die USA und Norwegen als Urheber des Sabotage-Akts ausgemacht hat. Über den Ablauf der Sabotage, wie Hersh ihn beschrieb, wurde kaum informiert (anders als jetzt bei der Jacht), sondern man versuchte, Hersh als unglaubwürdig hinzustellen. Es handle sich um einen 85-jährigen Mann, der auch schon falsch gelegen habe. Er nenne weder den Namen seiner Quelle, die über die Vorbereitung und den Ablauf der Sabotage Kenntnis habe, noch lege er Beweisdokumente vor.

Das tun auch ARD, SWR und die «Zeit» nicht. Sie nennen nur den Generalbundesanwalt, der die Jacht identifiziert habe.

Stefan Kornelius, Redaktor der «Süddeutschen Zeitung» und Mitglied der «Atlantik-Brücke», hatte Hersh vorgeworfen, er verbreite eine «spektakuläre, aber unplausible These». Ob er die Jacht-Story für plausibler hält?

Fast alle Indizien sprechen für einen Terrorakt der USA

Wie bereits im Artikel über Seymour Hersh dargelegt, sprechen nicht nur Hershs Recherchen, sondern viele Indizien für einen Terrorakt der USA:

Präsident Joe Biden sagte schon am 7.2.2022: «Wenn Russland einmarschiert, wird es kein Nord Stream 2 mehr geben, wir werden dem Projekt ein Ende setzen.» Staatssekretärin Victoria Nuland wiederholte diese Aussage.

2017 verabschiedete der US-Kongress ein Gesetz, das Sanktionen gegen alle westlichen Firmen vorsah, die an der Pipeline Nord-Stream-2 weiterarbeiteten. Im Gesetz heisst es wörtlich: «Die US-Regierung legt grössten Wert auf den Export amerikanischer Energieträger und auf die Schaffung amerikanischer Jobs.»

Russische Experten wurden daran gehindert, bei den Untersuchungen vor Ort dabei zu sein.

Norwegen und Schweden weigern sich bis heute, die Ergebnisse ihrer Untersuchungen bekannt zu geben. Die deutsche Bundesregierung weigert sich ihrerseits zu sagen, welche Schiffe der NATO und Russlands sich in der Nähe des Tatorts aufhielten.

Nach dem erfolgreichen Sabotage-Akt erklärten sich US-Aussenminister Antony Blinken und Victoria Nuland sehr erfreut.

Während eines TV-Bürgerdialogs Anfang Februar nahm der deutsche Bundeskanzler das Wort «USA» nicht in den Mund, doch er erklärte: «Wer die Pipeline gesprengt hat, kann man vermuten, aber weil wir ein Rechtsstaat sind, vermuten wir nicht, sondern sagen nur dann etwas ganz Präzises, wenn wir das beweisen können. Auch wenn hier fast alle denken, wie das ist, darf man sich nicht in Spekulationen ergehen.»

Bei Vorwürfen gegen Russland oder China, geschweige denn gegen die Oppositionsparteien gilt dieser hehre Grundsatz der endgültigen Beweisbarkeit, um eine fast sichere Vermutung auszusprechen, offensichtlich nicht.

Scholz geht kein grosses Risiko ein: Ein eindeutiger Beweis dafür, wer die Sabotage ausübte und wie er durchgeführt wurde, wird in absehbarer Zeit nicht auf den Tisch kommen.

Der Originalartikel kann hier besucht werden