Das Blatt der Geschichte scheint sich immer dann günstig für Lateinamerika zu wenden, wenn die Vereinigten Staaten gerade durch Ereignisse, wie den Bürgerkrieg (1861-65) oder andere Konflikte, abgelenkt sind. Auch jetzt ist die US-Regierung zumindest teilweise durch den Krieg in der Ukraine abgelenkt und sogar bereit, Öl von Venezuela zu kaufen, wenn das dabei hilft, Russland zu schaden. Darüber hinaus sind wir gerade an einem Punkt gewaltiger Errungenschaften und Hoffnungen in Lateinamerika angelangt.

Wahlen in Lateinamerika gehen immer häufiger zuungunsten von US-Interessen aus. Es begann 1999 mit dem Wahlsieg Hugo Chavez’ in Venezuela, auf den 2003 die Wahl von Néstor Carlos Kirchner in Argentinien und die von Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien folgten. In Bolivien kam im Januar 2003 der nach mehr Unabhängigkeit strebende Evo Morales an die Macht. Ein Jahr später war es dann Rafael Correa in Ecuador. Anschließend verkündete Correa, dass die USA nur dann weiter Militärbasen im Land betreiben dürften, wenn Ecuador im Gegenzug eine in Miami erhielte. In Nicaragua ist seit 2009 Daniel Ortega, nachdem er schon einmal bis 1990 regiert hatte, wieder an der Macht, wobei sich seine heutige Politik von der in der ersten Amtszeit stark unterscheidet und daher nicht alle Meldungen über seinen Machtmissbrauch falsch sind. 2018 wurde in Mexiko Andrés Manuel López Obrador (genannt AMLO) zum Präsidenten gewählt. Diese als „pinke Welle“ bezeichnete Entwicklung konnte auch durch einen 2019 von den USA und Großbritannien unterstützten Putsch in Bolivien und einem aufgebauschten Amtsenthebungsverfahren gegen Lula da Silvas Nachfolgerin Dilma Rousseff in Brasilien nicht aufgehalten werden. Mittlerweile hat die Welle zahlreiche Länder der Region erfasst: Venezuela, Bolivien, Ecuador, Nicaragua, Brasilien, Argentinien, Mexiko, Peru, Chile, Kolumbien, Honduras und nicht zuletzt Kuba. In Honduras ist 2021 Xiomara Castro de Zelaya zur Präsidentin gewählt worden, nachdem ihr Ehemann Manuel Zelaya 2009 mit Gewalt aus dem Amt geworfen worden war. Und Kolumbien erlebte letztes Jahr sogar zum ersten Mal überhaupt die Wahl eines linken Präsidenten.

Natürlich sind all diese Länder sehr unterschiedlich und nicht zuletzt auch ihre Präsidentinnen und Präsidenten. Und natürlich haben auch diese Regierungen ihre Fehler, wie alle Regierungen auf der Welt – unabhängig davon, ob die US-Medien sie nun übertreiben oder schlicht erfinden. Nichtsdestotrotz haben in Lateinamerika Wahlen (sowie der Widerstand gegen Putschversuche) gezeigt, dass der Kontinent dabei ist, die Monroe-Doktrin zu überwinden – ob es den USA gefällt oder nicht. [Anm. d. Ü.: Die Monroe-Doktrin geht auf den US-Präsidenten James Monroe zurück, der Anfang des 19. Jahrhunderts postulierte, dass der amerikanische Doppelkontinent die ausschließliche Einflusszone der USA sei.]

Eine 2013 von Gallup in Argentinien, Mexiko, Brasilien und Peru durchgeführte Meinungsumfrage ergab, dass in jedem dieser Länder die USA als häufigste Antwort auf die Frage genannt wurden, welches Land die größte Gefahr für den Weltfrieden darstelle. 2017 war es dann eine Umfrage des Pew Research Center in Mexiko, Chile, Argentinien, Brasilien, Venezuela, Kolumbien und Peru, die zeigte, dass zwischen 56 und 85 Prozent der Befragten die USA als Bedrohung für ihr Land bezeichneten. Wenn die Monroe-Doktrin nun angeblich entweder der Vergangenheit angehört oder doch nur gut gemeint ist, wieso haben dann diejenigen, die von ihr betroffen sind, davon nichts mitbekommen?

Als die USA letztes Jahr den sogenannten Amerika-Gipfel ausrichteten, nahmen Delegationen aus nur 23 der 35 Staaten des Doppelkontinents daran teil. Drei der abwesenden Länder waren von den USA ausgeschlossen worden, die restlichen neun hatten daraufhin ihren Boykott erklärt, darunter Mexiko, Bolivien, Honduras, Guatemala, El Salvador sowie Antigua und Barbuda. Selbstredend behauptet die US-Regierung stets, Regierungen nur dann auszuschließen, zu bestrafen oder zu stürzen, wenn es sich um Diktatoren handele, und nicht einfach weil sie sich US-Interessen widersetzen. Doch wie ich in meinem 2020 erschienen Buch „20 Dictators Currently Supported by the United States“ [Anm. d. Ü.: Das Buch liegt noch nicht in deutscher Übersetzung vor] gezeigt habe, werden von den 50 Regimen der Welt, die die USA selbst für am repressivsten halten, 48 von ihnen militärisch unterstützt und an 41 dürfen Waffen verkauft werden. Darüber hinaus wird das Militär in 44 dieser Länder vom US-Militär trainiert und 33 Regime erhalten sogar direkte Militärhilfe in Form von Geld.

Lateinamerika braucht auch gar keine US-Militärstützpunkte und sie alle sollten umgehend geschlossen werden. Der Kontinent wäre ohne US-Militarismus (oder irgendeinen anderen Militarismus) schon immer besser dran gewesen und sollte von dieser Plage sofort befreit werden. Beenden wir den Verkauf und die Überlassung von Waffen, die Ausbildung oder Finanzierung des Militärs sowie die militarisierte Ausbildung von Polizei- und Gefängnisbediensteten. Hören wir auf, das katastrophale System der Masseninhaftierung in den Süden zu exportieren. (Der aktuell im Kongress debattierte Berta Cáceres Act, der eine Aussetzung der Unterstützung für Militärs und Polizei in Honduras vorsieht, solange diese sich an Menschenrechtsverletzungen beteiligen, sollte auf den ganzen Kontinent und die ganze Welt ausgeweitet werden sowie dauerhaft und bedingungslos gemacht werden, denn Entwicklungshilfe sollte in finanzieller und nicht militärischer Form erfolgen.)[Anm. d. Ü.: Berta Cáceres war eine indigene Umweltaktivistin aus Honduras, die 2016 ermordet worden war. An der Tat waren unter anderem Soldaten beteiligt gewesen, die in den USA ausgebildet worden waren.]

Machen wir bei uns und im Ausland Schluss mit dem „Krieg gegen die Drogen“, der nur die Militarisierung vorantreibt. Ignorieren wir endlich nicht mehr die schlechte Lebensqualität und das mangelhafte Gesundheitssystem, die Drogenmissbrauch erst hervorbringen und verbreiten. Schließen wir keine Handelsabkommen mehr ab, die der Umwelt und dem Menschen schaden. Lassen wir es endlich, „Wirtschaftswachstum“ um seiner selbst willen zu feiern. Überwinden wir ebenso den Wettbewerb, egal ob wirtschaftlich oder militärisch, mit China und anderen Ländern. Wir wollen keinen Schuldendienst mehr (Streichen wir die Schulden einfach!), keine Entwicklungshilfe, die an Bedingungen geknüpft ist und keine Kollektivbestrafung in Form von Sanktionen. Nieder mit den Grenzmauern und anderen sinnlosen Hürden, die die Freizügigkeit einschränken. Schaffen wir die Trennung in Menschen erster und zweiter Klasse ab.

Und nicht zuletzt müssen wir aufhören, Ressourcen, die für ökologische und humanitäre Katastrophen gebraucht werden, stattdessen in die Neuauflage einer archaischen Eroberungspolitik umzuleiten. Lateinamerika hat den US-Imperialismus niemals gebraucht. Puerto Rico und alle anderen US-Territorien sollten sich entscheiden dürfen, entweder unabhängig oder ein vollwertiger Bundesstaat zu werden, und darüber hinaus Entschädigungen erhalten.

Die Übersetzung wurde aus dem Englischen wurde von Daniel Jerke vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!

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