Deutschland setzt bei Versorgung mit grünem Wasserstoff und Energiewende-Rohstoffen stärker denn je auf Chile. EU-Freihandelsabkommen mit dem Land wird als „neokolonial“ kritisiert.

Deutschland stützt sich bei seiner Versorgung mit grünen Energieträgern und zentralen Rohstoffen der Energiewende stärker als bisher auf Chile. Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei seinem Aufenthalt in dem südamerikanischen Land eine schon seit zehn Jahren bestehende „Rohstoffpartnerschaft“ ausgebaut. Insbesondere soll der deutsche Zugriff auf Lithium und auf Kupfer gestärkt werden. Auch grünen, mit Hilfe erneuerbarer Energieträger produzierten Wasserstoff wird Berlin in großem Umfang aus Chile beziehen. Deutsche Konzerne sind an profitablen Wasserstoffvorhaben in dem Land beteiligt. Begleitend hat die EU am 9. Dezember ihr seit 2002 bestehendes Freihandelsabkommen mit Chile ausgeweitet. In seiner neuen Version stellt es 99,9 Prozent aller Exporte aus der EU von Steuern frei; umgekehrt untersagt es Santiago, die Ausfuhr unverarbeiteter Rohstoffe zu beschränken, um den Aufbau eigener Wertschöpfungsketten zu fördern. Kritiker, darunter die Kleinbauernorganisation Via Campesina, prangern das Abkommen als klaren „Ausdruck des Neokolonialismus“ an und kritisieren, es diene vor allem „der Elektromobilität der EU“ – dies auf Kosten Chiles.

Chile als Wasserstoffproduzent

Anders als in Argentinien, wo die Bundesregierung aktuell den Erwerb von Frackinggas forciert (german-foreign-policy.com berichtete [1]), hat sie in Chile vor allem den Bezug von „grünem“, aus erneuerbaren Energiequellen gewonnenem Wasserstoff im Blick. Chile hat im Jahr 2020 eine Nationale Strategie für Grünen Wasserstoff (Estrategia Nacional de Hidrógeno Verde) beschlossen, die den rasanten Ausbau der Branche vorsieht. Das Land will demnach bis 2030 zum kostengünstigsten Wasserstoffhersteller und bis 2050 zu einem der drei weltgrößten Exporteure aufgestiegen sein.[2] Um das zu erreichen, wirbt es im Ausland um Investitionen. Aus Deutschland ist die Linde AG an dem Projekt HyPro Aconcagua beteiligt, das perspektivisch bis zu 3.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr produzieren will. Die Bundesrepublik und Chile haben im Jahr 2021 eine „Task Force Wasserstoff“ gegründet, die sich an der Erschließung des gewaltigen Potenzials des Landes an Wind- und Sonnenenergie für die Herstellung grünen Wasserstoffs beteiligen soll. Im August hat die Stadt Hamburg eine Kooperationsvereinbarung mit Chiles Energieminister geschlossen, um Lieferungen nach Deutschland zu erleichtern.[3] Vor kurzem eingeweiht worden ist das Projekt Haru Oni im Süden des Landes, das mit Hilfe grünen Wasserstoffs klimaneutralen Kraftstoff herstellt. Siemens hat dafür Bundesmittel in Höhe von 8,23 Millionen Euro erhalten.

Rohstoffe für die Energiewende

Interesse hat die deutsche Wirtschaft zudem an zahlreichen Industrierohstoffen, die in Chile gefördert werden – vor allem an solchen, die für die Technologien der Energiewende wichtig sind. Dabei ragt Lithium heraus. Chile bildet gemeinsam mit Argentinien und Bolivien das sogenannte Lithiumdreieck, die Region mit den größten Lithiumvorräten der Welt. Das Land ist gegenwärtig der zweitgrößte Exporteur nach Australien und deckt rund zwei Drittel des Lithiumbedarfs der EU ab. Bedeutend ist Chile auch als Kupferproduzent – im Jahr 2021 war es, hinter Brasilien und Peru, Deutschlands drittgrößter Lieferant. Die Hamburger Aurubis AG schloss am Rande des Kanzlerbesuchs eine Vereinbarung mit der staatlich kontrollierten Codelco, dem laut Eigenangaben weltgrößten Kupferproduzenten – mit dem Ziel, künftig enger zu kooperieren.[4] Chile besitzt weitere Rohstoffe, die auch für die deutsche Industrie eine wichtige Rolle spielen, darunter Molybdän und Rhenium. Scholz und der chilenische Präsident Gabriel Boric einigten sich am Wochenende nicht zuletzt darauf, die schon im Jahr 2013 geschlossene „Rohstoffpartnerschaft“ zu intensivieren. Berichten zufolge zielt diese insbesondere darauf, den Zugriff deutscher Unternehmen auf chilenisches Lithium zu optimieren.

Vom Abbau zur Verarbeitung

Dabei nötigen jüngere Entwicklungen in der globalen Rohstoffbranche die Bundesregierung zu Zugeständnissen. Ein Beispiel für diese Entwicklungen bietet Indonesien. Das Land hat Anfang 2020 den Export unverarbeiteten Nickelerzes untersagt, um seinen Eigenanteil an der Wertschöpfung zu erhöhen. Das hat ihm zwar Ärger mit der Welthandelsorganisation (WTO) eingebracht, zugleich aber auch Milliardeninvestitionen vor allem chinesischer Firmen, die jetzt eine lokale indonesische Nickelverarbeitung aufbauen. Im Juni will die Regierung einen Schritt weiter gehen und die Ausfuhr unverarbeiteten Bauxits untersagen – ebenfalls, um die Weiterverarbeitung im eigenen Land zu forcieren.[5] Bestrebungen, nicht nur unverarbeitete Rohstoffe zu exportieren, sondern mit den eigenen Bodenschätzen die Industrialisierung zu forcieren, sind auch in Südamerika zu erkennen. So hat der Batteriezellenhersteller Gotion aus China im vergangenen Jahr eine Vereinbarung zum Bau einer Anlage in Argentinien unterzeichnet, die das dort geförderte Lithium zu Lithiumcarbonat weiterverarbeiten soll.[6] Perspektivisch ist geplant, auch die Produktion der Batteriezellen in Argentinien anzusiedeln. Scholz hat am Sonntag angekündigt, Berlin werde sich dafür stark machen, dass zumindest „der erste Schritt im Verarbeitungsprozess“ künftig in den Rohstoffländern durchgeführt werde: „Das würde auch eine Menge Transportkosten sparen.“[7]

Rohstofflieferant und Absatzmarkt

Begünstigt werden die aktuellen wie auch die erhofften künftigen Rohstoffimporte durch das neue, erweiterte Freihandelsabkommen zwischen der EU und Chile, auf das sich beide Seiten am 9. Dezember geeinigt haben. Es geht deutlich über die Bestimmungen des bestehenden Abkommens aus dem Jahr 2002 hinaus. So sieht es Zollfreiheit für 99,9 Prozent aller Exporte aus der EU nach Chile vor, dessen Industrie der europäischen Konkurrenz damit schutzlos ausgeliefert ist; die EU-Kommission rechnet mit einem Anstieg der Exporte um 4,5 Milliarden Euro. Zudem erhalten Investoren aus EU-Staaten in dem südamerikanischen Land gleiche Rechte wie einheimische Investoren; das Erbringen von Dienstleistungen in Chile – Telekommunikation, Finanzen und anderes – wird für Unternehmen aus der EU erheblich erleichtert.[8] Darüber hinaus intensiviert das Abkommen den Zugriff europäischer Konzerne auf Chiles Rohstoffe – so zum Beispiel, indem es die Möglichkeiten der Regierung des Landes beschränkt, den Export unverarbeiteter Rohstoffe begrenzen.[9] Damit steht die Vereinbarung Santiagos Bemühungen entgegen, einen größeren Anteil an der Wertschöpfung in Chile zu bündeln, um sich ökonomisch emporzuarbeiten. Das Abkommen soll spätestens im kommenden Jahr vorläufig in Kraft gesetzt werden.

Wer den Preis zahlt

Seine Unterzeichnung ist von massivem Protest begleitet worden. So unterzeichneten mehr als 500 Organisationen und Einzelpersonen, von der internationalen Kleinbauernorganisation Via Campesina bis zum französischen Politiker Jean-Luc Mélenchon (La France insoumise), einen Aufruf, der das Freihandelsabkommen als offenen „Ausdruck des Neokolonialismus“ anprangert.[10] Das Abkommen diene vor allem „der Elektromobilität der EU“ und dem Geschäft ihrer transnationalen Konzerne, heißt es mit Blick auf die Rohstoffexporte in dem Appell. Zu den geplanten Wasserstofflieferungen in die EU heißt es, „für jeden Liter ‘grünen‘ Wasserstoffs“ benötige man in der Produktion „10 Liter Süßwasser“ und „eine große Menge an Energie“; diese solle aus der Umwidmung landwirtschaftlicher Flächen kommen, auf denen Sonnen- und Windenergieanlagen gebaut würden, um die Ausfuhr „erneuerbarer“ Energieträger zu ermöglichen.[11] Damit werde Chile „die Umwelt-, die sozialen sowie die Klimakosten zahlen müssen, die für die europäische Klimawende erforderlich sind“, und zudem im reichen Westen „den Gebrauch von Autos verstetigen – anstatt öffentlichen Verkehrsmitteln den Vorrang zu geben“. Die Unterzeichner des Appells fordern ausdrücklich, das Inkrafttreten des Abkommens zu verhindern.

 

[1] S. dazu Die Weltordnung und ihre Profiteure.

[2] Stefanie Schmitt: Chiles Wasserstoffstrategie zieht Investitionen an. gtai.de 12.01.2022.

[3] Grüner Wasserstoff: Hamburg und Chile arbeiten zusammen. ndr.de 25.08.2022.

[4] Aurubis und Codelco wollen nachhaltige Kupferindustrie stärken. handelsblatt.com 30.01.2023.

[5] Christoph Hein: Indonesien blockiert weitere Bodenschätze. Frankfurter Allgemeine Zeitung 03.01.2023.

[6] Gotion plant Lithiumcarbonat-Raffinerie in Argentinien. electrive.net 27.06.2022.

[7] Scholz will Mineralien sichern. tagesschau.de 30.01.2023.

[8] Susanne Scholl: Chile und EU einigen sich auf modernisiertes Rahmenabkommen. gtai.de 13.12.2022.

[9] Freihandelsabkommen mit Chile. faz.net 09.12.2022.

[10] Robert Kohl Parra: Chile unterschreibt aktualisiertes Freihandelsabkommen mit EU. amerika21.de 14.12.2022.

[11] „Desde Chile y la UE rechazan el tratado Chile/UE negociado a espaldas de los pueblos” por Chile Mejor sin TLC. revistadefrente.cl 08.12.2022.

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