Britische Marineprovokation vor der Krim geschah parallel zur Stationierung deutscher Eurofighter am Schwarzen Meer. EU verschärft ebenfalls die Spannungen mit Russland.

Zeitgleich zum jüngsten Marinezwischenfall vor der Krim hat die deutsche Luftwaffe einen Einsatz am Schwarzen Meer begonnen. Während der britische Zerstörer HMS Defender Mitte vergangener Woche in die Hoheitsgewässer vor der Krim eindrang – ausweislich britischer Geheimdokumente in provokativer Absicht – und damit fast einen Zusammenstoß mit den russischen Streitkräften vom Zaun brach, sind zum ersten Mal deutsche Eurofighter im Rahmen der NATO-Luftraumüberwachung auf dem militärischen Flughafen der rumänischen Hafenstadt Constanța stationiert worden. Sie operieren dort innerhalb einer Alarmrotte der britischen Luftwaffe. Gleichzeitig beteiligt sich die Bundeswehr am Aufbau des Multinational Corps South-East, eines regionalen NATO-Hauptquartiers im rumänischen Sibiu. Zeigt die britische Marineprovokation, wie schnell die militärische Lage in einem Einsatzgebiet der Bundeswehr eskalieren kann, so verschärft auch die EU die Spannungen mit Moskau. Pläne, ein Gipfeltreffen der Union mit Russlands Präsident Wladimir Putin abzuhalten, wurden von den östlichen und südöstlichen Mitgliedstaaten torpediert.

Zwischenfall vor der Krim

Geheime Papiere aus dem britischen Verteidigungsministerium, die in der Nacht von Montag auf Dienstag vergangener Woche unter nicht geklärten Umständen durchweicht an einer Bushaltestelle in Kent (Südostengland) aufgefunden worden waren, bieten neue Einblicke in die Vorbereitung der Londoner Marineprovokation vor der Krim am vergangenen Mittwoch. An jenem Tag war der britische Zerstörer HMS Defender auf dem Weg aus dem Hafen von Odessa ins georgische Batumi unmittelbar am Südzipfel der Krim vorbeigefahren. Dabei drang er, wie Berichte „eingebetteter“ Journalisten von der BBC und dem konservativen Boulevardblatt Daily Mail bestätigen, klar in die Zwölfmeilenzone vor der Halbinsel Krim und damit in deren Hoheitsgewässer ein; diese werden, seit die Krim 2014 der Russischen Föderation beigetreten ist, von Russland beansprucht. Wie aus den in Kent gefundenen Papieren hervorgeht, standen bei der Vorbereitung der Fahrt zwei verschiedene Routen zur Auswahl. Eine vermied das Eindringen in die Hoheitsgewässer; sie wurde letztlich nicht gewählt. Dabei war ausweislich den Dokumenten, die offenkundig bei einem am Montag abgehaltenen „UK-US Defence Dialogue“ vorlagen [1], den Planern völlig klar, dass das Eindringen in die Zwölfmeilenzone zu scharfen Reaktionen auf russischer Seite führen würde.

In provokativer Absicht

Die Papiere belegen ebenfalls, dass bei der Auswahl der Route die Absicht im Mittelpunkt stand, mit der demonstrativen Missachtung der russischen Ansprüche Londons Position zu bekräftigen, es handele sich bei der Zwölfmeilenzone vor der Krim um „ukrainische Hoheitsgewässer“; jegliche Abstimmung mit Moskau über die Fahrt der HMS Defender sei deswegen überflüssig.[2] Die Fahrt des Zerstörers verfolgte damit denselben Zweck wie die sogenannten Freedom of Navigation-Operationen der U.S. Navy im Südchinesischen Meer; US-Kriegsschiffe durchqueren dort regelmäßig Zwölfmeilenzonen vor kleinen Inseln, die China für sich beansprucht – ein Anspruch, den Washington nicht anerkennt.[3] Der Zwischenfall vor der Krim belegt das Eskalationspotenzial derartiger Provokationen: Die russischen Streitkräfte brachten, wie ein von russischer Seite publiziertes Video bestätigt, mit Warnschüssen eines Kriegsschiffs sowie dem Abwurf von Bomben aus einem Militärflugzeug die HMS Defender dazu, die Hoheitsgewässer der Krim zu verlassen. Moskau warnt, wiederholte Provokationen werde man nicht hinnehmen – und beim nächsten Mal keine Warnschüsse, sondern gezielte Schüsse auf ein eindringendes Kriegsschiff abgeben.[4] Die HMS Defender ist gegenwärtig mit einer Flugzeugträgerkampfgruppe auf dem Weg ins Südchinesische Meer.

Sea Breeze 2021, Defender Europe 2021

Der Zwischenfall vor der Krim ereignete sich kurz vor dem heutigen Beginn des Manövers Sea Breeze 2021, das von der Sixth Fleet der U.S. Navy gemeinsam mit der ukrainischen Marine abgehalten wird. An der Kriegsübung, die seit 1997 jährlich im Schwarzen Meer stattfindet, nehmen 32 Staaten von allen Kontinenten teil, darunter Australien, Japan und Südkorea, Brasilien, Ägypten, Tunesien, Marokko und Senegal, Großbritannien und zahlreiche Staaten von NATO und EU. Gemeldet sind 5.000 Soldaten, 32 Kriegsschiffe, 40 Flugzeuge und 18 Spezialkräfteeinheiten; damit ist die Übung die größte ihrer Art seit Beginn der Serie im Jahr 1997.[5] Trainiert werden einer Mitteilung der US-Seestreitkräfte zufolge verschiedene Bereiche der Kriegführung, darunter amphibische Manöver sowie Manöver an Land, maritime Abriegelungsoperationen, Luftabwehr und U-Boot-Abwehr, Rettungs- sowie Spezialkräfteoperationen.[6] Sea Breeze 2021 beginnt unmittelbar nach dem Abschluss von Defender Europe 21, einem Großmanöver, das die Verlegung von US-Großverbänden aus den Vereinigten Staaten nach Europa probte – in diesem Jahr speziell nach Südosteuropa sowie ans Schwarze Meer.[7] Involviert waren rund 28.000 Soldaten aus 26 Staaten, darunter zahlreiche, die auch an Sea Breeze 2021 beteiligt sind.

Eurofighter in Constanța

Zwar nimmt die Bundeswehr – im Unterschied zu früheren Jahren – laut offiziellen Angaben nicht an Sea Breeze 2021 teil. Dennoch sind deutsche Soldaten zur Zeit in der Region im Einsatz – zum ersten Mal im Rahmen der Luftraumüberwachung in Rumänien. Wie im Baltikum [8], so hat die NATO auch an ihrer südosteuropäischen Flanke ein enhanced Air Policing South (eAPS) etabliert, das die sichere Kontrolle des rumänischen Luftraums insbesondere über dem Schwarzen Meer gewährleisten soll. Seit Mitte vergangener Woche sind Eurofighter-Kampfjets vom Taktischen Luftwaffengeschwader 71 „Richthofen“ aus Wittmund auf dem militärischen Flughafen der Hafenstadt Constanța am Schwarzen Meer stationiert; sie sind dort in eine Alarmrotte der Royal Air Force integriert, um im Ernstfall an der Seite der britischen Einheit zum schnellstmöglichen Einsatz bereit zu sein.[9] Die Bundeswehr beteiligt sich zudem am personellen Ausbau des Multinational Corps South-East, eines Hauptquartiers der NATO, das in Zukunft für die Führung von Landoperationen in der Region zuständig sein soll. Es hat seinen Sitz in Sibiu und wird ab 2024 voll einsatzfähig sein. Seine „Anfangsbefähigung“ wurde vor wenigen Tagen im Rahmen von Defender Europe 21 geprüft.[10]

In der Negativspirale

Zeigt die jüngste britische Marineprovokation vor der Krim, wie schnell die militärische Lage in einem Stationierungsgebiet der Bundeswehr eskalieren kann, so verschärft neben der NATO auch die EU die Spannungen mit Russland. Auf dem EU-Gipfel Ende vergangener Woche in Brüssel behaupteten die Staats- und Regierungschefs der Union, sie sähen „die Notwendigkeit einer entschlossenen und koordinierten Reaktion der EU und ihrer Mitgliedstaaten“ auf „jede weitere böswillige, rechtswidrige und disruptive Aktivität Russlands“.[11] Dazu soll nun eine Konzeption erarbeitet werden, die bei missliebigen Handlungen der russischen Regierung Strafmaßnahmen vorsieht – neue Wirtschaftssanktionen inklusive. Die EU-Kommission hatte bereits zuvor einen weiteren „Niedergang der Beziehungen zu Russland“ prognostiziert.[12] Ein Vorstoß der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, ein Gipfeltreffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ins Auge zu fassen, um eine unkontrollierte Eskalation der Beziehungen zu verhindern, wurde vor allem von ost- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten erfolgreich torpediert, die sich als EU-Speerspitze im Machtkampf gegen Moskau gerieren: die baltischen Staaten, Polen und Rumänien.

 

[1], [2] Paul Adams: Classified Ministry of Defence documents found at bus stop. bbc.co.uk 27.06.2021.

[3] S. dazu Ostasiens Mittelmeer (II) und Eine Giftpille gegen China.

[4] Jochen Buchsteiner, Friedrich Schmidt, Gerhard Gnauck: Ein gefährliches Spiel. Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.06.2021.

[5] Ed Adamczyk: Ukraine, U.S. Navy’s 6th Fleet prepare for Black Sea exercises. upi.com 21.06.2021.

[6] U.S. Sixth Fleet announces Sea Breeze 2021 participation. c6f.navy.mil 21.06.2021.

[7] S. dazu Kräftemessen am Schwarzen Meer und Kein Lockdown für Militärs (II).

[8] S. dazu Jubiläum mit Truppenbesuch.

[9] Deutsche Eurofighter über Rumänien – die Mission beginnt. bundeswehr.de 24.06.2021.

[10] In Rumänien wächst ein neues NATO-Korps heran. bundeswehr.de 21.06.2021.

[11] European Council meeting (24 and 25 June 2021) – Conclusions. Brussels, 25 June 2021.

[12] S. dazu In der Negativspirale.

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