Sie reichen sich immer wieder die Hände für Frieden und Versöhnung. So hat die gemischte israelisch-palästinensische Organisation Parents Circle-Families Forum (PCFF), am 10. Mai eine Mahnwache gegen die überbordende Gewalt abgehalten, die zu Beginn des Ramadan in Jerusalem entbrannt ist und nun weiter eskaliert. PCFF Mitglieder sind über 600 israelische und palästinensische Familien, die ein nahes Familienmitglied im anhaltenden Konflikt in Israel verloren haben.

“Je nachdem, wie sich dieser Zyklus der Gewalt entwickelt, erwägen wir neben der Mahnwache, unser Friedenszelt wieder aufzustellen, wie wir es 2014 während des Gaza-Krieges getan haben. Wir werden unsere Dialogtreffen via Zoom fortsetzen und keines unserer laufenden Projekte aufgeben, erklärt Robi Damelin, die internationale Sprecherin, deren Sohn von einem palästinensischen Sniper getötet wurde. Da die Mehrzahl der Demonstrierenden in der jüngsten Zeit in Jerusalem zwischen 15 und 16 Jahren alt sind, hat PCFF spezielle Zoom-Treffen mit jungen Mitgliedern des Parents Circle organisiert, um in Zukunft verschiedene Aktionen gemeinsam zu planen.

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Während die Gewalt in Israel eskaliert, wird Parents Circle zu einem Katalysator für Veränderung

Robi Damelin, internationale Sprecherin von PCFF.

Im April kam es in Jerusalem zu Spannungen, als das Damaskustor verbarrikadiert wurde und palästinensische Jugendliche zu Beginn des heiligen Monats Ramadan keinen Platz mehr hatten, um sich zu versammeln. Die Zusammenstöße zwischen palästinensischen Jugendlichen und der Polizei eskalierten, als anti-arabische “ultra-rechte Demonstrierende” durch die Straßen von Jerusalem zogen und Parolen skandierten, die die „Verbrennung von Arabern“ forderten und Schilder in hebräischer Sprache trugen, auf denen „Kahane hat Recht“ zu lesen war, eine Anspielung auf den verstorbenen extremistischen Rabbiner.

Die israelische Polizei stürmte die al-Aqsa-Moschee – drinnen wehrten sich Gläubige gegen das Eindringen israelischer Siedler, die entschlossen sind, die Häuser von Palästinenser*innen zu besetzen. Etwa 300 Palästinenser*innen und 21 israelische Sicherheitskräfte wurden verwundet. Hamas schlug darauf mit dem Abschuss von Hunderten von Raketen aus dem Gazastreifen nach Israel zurück, während das israelische Militär mit 130 Luftschlägen gegen Gaza antwortete, wobei 26 Palästinenser*innen, einschließlich 9 Kinder und 2 Israelis getötet wurden.

“Rechte Gruppen” machen unsere Arbeit kaputt und drohen mit Gegenreaktionen”, sagt Damelin. „Sie demonstrieren manchmal auch ziemlich gewaltbereit gegen das Forum, wenn wir die gemeinsame Trauerzeremonie abhalten“.

Gegründet 1995 von Yitzhak Frankenthal und einigen israelischen Familien, fand 1998 das erste Treffen von PCFF zwischen Hinterbliebenen Palästinenser*innen aus Gaza und israelischen Familien statt. In der Überzeugung, dass der Prozess der Versöhnung zwischen den Nationen eine „Voraussetzung für das Erreichen eines dauerhaften Friedens“ ist, verbreitet der PCFF seine heilende Botschaft durch verschiedene hochkarätige israelisch-palästinensische Veranstaltungen und Zusammenkünfte.

Während PCFF keiner Partei angehört, glaubt Damelin, dass jede gewaltfreie Gruppe, die an der Versöhnung arbeitet in dem geteilten Staat Israel auch als politisch eingeordnet werden könnte.

“In der Vergangenheit haben wir uns dafür stark gemacht, dass ein Versöhnungsprozess in Gang kommt, der die Grundlage für jedes politischer Friedensabkommen bilden muss. Darauf arbeiten wir langfristig hin. Wir haben einen gewissen Rückhalt in beiden Gemeinschaften. Fast alle unsere männlichen palästinensischen Mitglieder waren während der Aufstände im Gefängnis und haben Familienmitglieder verloren. An ihren Motiven, Mitglied bei PCFF zu sein, besteht kein Zweifel“, sagte Damelin.

Im Laufe der Jahre hat PCFF Tausende von Alumni gefördert mit ihrem parallelen Erzählprozess, in dem sie persönliche und nationale Narrative miteinander teilten und von einander über den/die jeweils „Anderen“ lernten. Sie sind auch in Schulen gegangen, haben einige Dokumentarfilme ihrer Mitglieder produziert, die ihre eigene Geschichte des Verlustes thematisierten um einen „emotionalen Durchbruch“ zu erreichen. Die Filme waren weltweit auf der Leinwand zu sehen. Ihre gemeinsame Trauerzeremonie wurde 2020 online übertragen und wurde von 250.000 Menschen gesehen.

„Auch die verhärmtesten Herzen könnten nur schwer unsere Botschaft ignorieren”, sagt Damelin. Sie kommt ursprünglich aus Südafrika, lebt jetzt in Jaffa und hat ihr Leben der Botschaft von Versöhnung und Gewaltfreiheit beim PCFF gewidmet.

Damelin hat den Women’s Peace Maker–Preis der Joan Kroc Schule für Peace Studies in San Diego erhalten. Sie ist die Hauptdarstellerin des preisgekrönten Dokumentarfilms “One Day After Peace” unter der Regie von Erez Laufer. Sie reiste nach Südafrika, um sich mit Tätern und Opfern zu treffen und die Bedeutung des Verzeihens zu erforschen. Obwohl es viele Lehren aus Südafrika und der Wahrheits- und Versöhnungskommission zu ziehen gibt, glaubt Damelin, dass der israelisch-palästinensische Fall anders liegt.

“Wir glauben an eine Zwei-Staaten-Lösung und dass die Besatzung beendet werden muss. Sie zerstört jede Hoffnung auf eine friedliche Zukunft und sie zerstört in vielfältiger Weise den moralischen Kompass von Israel“. Damelin erklärt wie alle Aktivitäten von PCFF vor Ort auf die Vorbereitung eines Versöhnungsprozesses ausgerichtet sind.

„Wir sind davon überzeugt, dass es einen Rahmen für einen Versöhnungsprozess geben muss, der ein integraler Bestandteil jedes zukünftigen politischen Friedensprozesses sein muss. Ansonsten können wir bestenfalls einen Waffenstillstand bis zum nächsten Mal erwarten.“

Unter der Führung israelischer und palästinensischer Frauen

Während die Gewalt in Israel eskaliert, wird Parents Circle zu einem Katalysator für Veränderung

Anfang 2020, begannen 20 Frauen von PCFF mit einem Lernprozess zu Friedensaktivismus und Führungsaufgaben.

Zahlreiche Studien haben belegt, dass Frieden nachhaltiger ist, wenn Frauen in Friedensprozessen engagiert sind und am Verhandlungstisch Platz finden. Da die Mehrzahl der Angestellten bei PCFF israelische und palästinensische Frauen sind, sagt Damelin „übernehmen die Frauen im Parents Circle die Führung“. PCFF führt viele Trainings für Frauen in Führungsaufgaben durch und sie glaubt, „es ist Zeit, dass die Frauen an die Verhandlungstische kommen.“

Während des Gazakriegs 2014, baute PCFF sein erstes Friedenszelt in Tel Aviv Cinematheque Platz auf, als Ort für Gespräche und Dialog. In einer 70-tägigen Mahnwache luden sie Passant*innen, Unterstützer*innen und Gegner*innen ein, dort ihre persönlichen Geschichten zu erzählen, ihre Ideen für “Versöhnung statt Rache” zu teilen. Auch palästinensische Mitglieder erzählten ihre eigenen Geschichten und Erfahrungen mit dem Krieg.

PCFF-Treffen werden sowohl in Israel als auch Palästina veranstaltet. Vergangenes Jahr haben sie während des Ramadans ein gemeinsames Fastenbrechen, das Iftar organisiert – das nach Sonnenuntergang den Ramadan täglich beendet.

Während der Pandemie hielt PCFF Hunderte von Zoom-Treffen ab, für die palästinensische Mitglieder keine Einreisegenehmigung für Israel beantragen mussten. „Keine Genehmigung nötig für Zoom”, sagte Damelin.

Globalisierung der Friedensbotschaft

Am Internationalen Friedenstag 2011 organisierte PCFF “Blutsbande”– eine israelisch-palästinensische Blutspendenaktion im Tel Aviv Cinematheque in Zusammenarbeit mit der globalen Werbeagentur Saatchi & Saatchi und ihrem israelischen Vertreter Baumann Ber Rivnay. Die Aktion stellte eine grundlegende Frage:

Würden Sie eine Person verletzen, durch deren Adern ihr Blut fließt?

Mit Hunderten von israelischen und palästinensischen Teilnehmer*innen war die Veranstaltung Teil des globalen Wettbewerbs „the impossible brief„, der Kreative weltweit aufforderte eine Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt anzubieten.

Eine weitere globale Kampagne, die die PCFF-Botschaft der Versöhnung verstärkte, war „Taking Steps for Peace“ (ein Schritt für den Frieden). Hier zeigte man ein gesticktes Vogelmotiv auf Turnschuhen, hergestellt von palästinensischen „Tatreez“-Stickern. In Zusammenarbeit mit dem Shenkar College und Partnern des Royal British College wurde das Vogelmotiv in einem Programm mit dem Titel „Go Global“ auch für andere Produkte verwendet und Prominente wie Barbara Streisand, Meryl Streep, Helen Mirren, Cate Blanchett und andere kauften die bestickten Schuhe. Saatchi & Saatchi hielt die globale Reichweite der Kampagne in einer Videodokumentation fest, die im Europäischen Parlament, im Deutschen Bundestag und im US-Kongress gezeigt wurde. Sie trug ausserdem dazu bei, Einkommen für die palästinensischen Stickerinnen zu generieren.

Angesichts der eskalierenden Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern wird die Arbeit und Mission des PCFF immer wichtiger und sie könnte vielleicht zu einer Deeskalation des Konflikts beitragen.

„Ich wünschte, wir hätten Einfluss auf die israelische Armee und Polizei. Wir halten von Zeit zu Zeit Dialogtreffen mit der Armee ab und arbeiten natürlich auch in Schulen mit Kindern, bevor sie zur Armee gehen“, sagt Damelin. „Wir können nur auf eine Zukunft hoffen, in der Israelis und Palästinenser die Menschlichkeit im jeweils Anderen erkennen und die Unantastbarkeit von Menschenleben anerkennen.“

Der Artikel von Jackie Abramian erschien unter dem TitelAs Violence Escalates In Israel, Parents Circle Becomes A Catalyst For Change“ auf Forbes und ist von Heidi Meinzolt aus dem Englischen übersetzt worden.

Wir danken der Jackie Abramian für die Zustimmung zur Veröffentlichung des Beitrags auf Pressenza.