Die jüngste Niederlage der Wirtschaftselite und ihrer politischen Verbündeten hat das Volk als Protagonisten der Zukunft Chiles positioniert. Der Aufstand vom 18.10.2019 und die Verabschiedung einer neuen Verfassung befeuerten den Triumph des Volkes, der mit den jüngsten Wahlen vom 15. und 16. Mai bestätigt wurde.

Das Listenbündnis Frente Amplio/Partido Comunista fegte zusammen mit den Unabhängigen den rechten Flügel und die ehemalige Concertación weg. Endlich können wir sagen, dass eine echte Linke in Chile geboren ist.

Die Menschen haben deutlich gezeigt, dass sie nicht mehr die Politiker:innen und Ökonom:innen wollen, die vierzig Jahre lang vom Großkapital vereinnahmt wurden und die Gesetze zu deren Gunsten gemacht haben. Die Diener:innen der Reichen, die den Staat daran hinderten, die nationale Mehrheit zu verteidigen, sind auf den Müllhaufen der Geschichte verdammt.

Der Spaß (der Reichen) ist vorbei und das Volk hat ihm ein Ende gesetzt.

Der Wahltriumph vom 15/16. Mai war eine kategorische Ablehnung der Missbräuche und Betrügereien der AFP (privaten Pensionsfonds), der ISAPRES (Sozialversicherungseinrichtungen) und der fragwürdigen Absprachen mit Großunternehmen, welche die bescheidenen Verbraucher:innen und die kleinen Unternehmen ausbeuten.

Die Menschen haben auch erkannt, dass das Arbeitsgesetz die Arbeiter:innen daran hindert, sich zu organisieren und menschenwürdige Löhne auszuhandeln, was es den Unternehmen ermöglicht, die Lohnempfänger:innen ohne Gegengewicht auszubeuten.

Was die Concertación/Neue Mehrheit nicht geschafft hat, wird nun die Aufgabe der neuen Führung sein, die am 15/16. Mai gewählt wurden. Das Volk hat gesagt, genug ist genug, empört über das feige „Maß des Möglichen“ und müde von der Pinochet-Lagos-Verfassung, die eine neoliberale Marktwirtschaft festgeschrieben hat, die es den reichsten 1% der Bevölkerung erlaubt, sich 30% des Reichtums anzueignen, während die ärmsten 50% nur 2% bekommen.

Die Anhäufung von Reichtum der Wirtschaftsgruppen gab ihnen eine faktische Macht im Land mit einem entscheidenden Einfluss auf das politische Leben. So haben der Staat und die politische Klasse die Wirtschaftsgruppen begünstigt, indem sie ihre Aufgabe vernachlässigt haben: Sie kontrollieren die Großindustrie nicht, sie regulieren sie nicht, sie erheben keine Lizenzgebühren für die rentierliche Ausbeutung unserer natürlichen Ressourcen, sie erleichtern Absprachen und Steuerhinterziehung und haben ihnen darüber hinaus den Weg geebnet, unkontrolliert in Steuerparadiesen zu operieren.

Claudia Aranda

(Bild von Enzo Blondel)

Das Regime der Missbräuche und Ungleichheiten hat seinen Ursprung in der Verfassung von 1980, welche die Rolle des Staates auf einen bloßen subsidiären Agenten der wirtschaftlichen Initiative reduziert. Auf der Grundlage der Subsidiarität überlässt der Staat dem Großkapital die Konzession für unser Land, unsere Flüsse und Meere zum Nulltarif; er erlaubt auch ein oligopolistisches Handels- und Finanzsystem, das durch Absprachen und Deregulierung immense Überschüsse abschöpft; und schließlich hat er eine Sozialpolitik erfunden, die Bildung, Gesundheit und Wohlfahrt für den direkten Profit der Unternehmen kommodifiziert hat.

Die neuen Abgeordneten haben die herausfordernde Aufgabe, die Wirtschaft zu demokratisieren, was einen Verfassungstext erfordert, der die Macht der 1% und ihrer Wirtschaftsgruppen einschränkt. Denn wirtschaftliches Handeln muss der gesamten Gesellschaft dienen, mit besonderem Vorrang für Arbeiter:innen und Kleinunternehmer:innen. Und die wirtschaftliche Demokratisierung ist die materielle Grundlage für die politische Demokratisierung.

Der Wahltriumph der Linken in der verfassungsgebenden Versammlung, aber auch der Erfolg in mehreren Gemeinden und sogar Gouverneursposten, eröffnet den Menschen in Chile einen vielversprechenden Weg, um im November die Präsidentenwahl positiv zu beeinflussen. Es ist keine leichte Aufgabe, aber der politische und vor allem kulturelle Wandel, den wir erleben, gibt Hoffnung auf ein neues Leben für die chilenische Familie. Um dieses Ziel zu erreichen, wird es notwendig sein, dass all jene politischen und sozialen Organisationen, die sich für eine neue Verfassung einsetzen und die derzeit verstreut sind, ihre Kräfte auf patriotische Weise bündeln.

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Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!